Samstag, 21. Juni 2014

Reise nach Kappadokien - 9: Die Kirchen in den Bergen von Göreme

Maria war noch keine fünfzig Jahre alt, als ihr Sohn am Kreuz starb. Von Josef ist irgendwie keine Rede mehr und eine Rente gibt es nicht, die sie in ihrem kleinen Häuschen mit Garten an der Seite friedlich hätte vernaschen können. Statt dessen: Kind tot, auch wenn es schon über dreißig Jahre alt war und wie sah die Zukunft aus? Alle, die an diesen seltsamen Verrückten geglaubt hatten, von dem behauptet wurde, dass er Gottes Sohn sei, verkrümelten sich lieber. Das war weniger gefährlich und außerdem verlangte niemand von ihnen, jetzt wieder ganz normale Juden zu sein und sich bitteschön auch so zu benehmen. Die Pharisäer konnten wieder in Ruhe in ihren Tempeln das Geld scheffeln, die Römer herrschten, alles war gut. 

Das Land, welches am nächsten lag, war offensichtlich Kappadokien. Vielleicht war es auch so, dass jemand von den Jüngern sagte: Du, ich kenne da jemanden, dort können wir in Ruhe leben, so wie wir es für richtig halten und den Menschen von Jesus erzählen. 

Jedenfalls war dort im Tal von Göreme und drumherum Platz genug und auch genügend Felsen, in die im Lauf der Zeit viele kleine Kirchen und auch Klöster und Einsiedlerzellen gemeißelt wurden. Praktischerweise wurden auch die Nischen fürs Geschirr, die Tische und Bänke in den Refektorien und sonstige Einrichtungen aus dem Stein gehauen. Nur unbequem sehen sie aus: In einer Rinne finden Beine und Füße Platz und der Tisch ist auf der gleichen Höhe, wie die Bank. So ist das Essen eher unbequem, es sei denn, man isst mit den Fingern oder hält die Schale in der Hand. 
Hat hier eigentlich jeder seine eigene Kirche aus dem Stein gekratzt? 

Vom 4. bis zum 13. Jahrhundert wohnten hier Christen, waren Kirchen und Klöster besiedelt. Die Geschichte der Evangelien wurde in bunten Comics auf die Kirchenwände gemalt, darüber gab es Streit, also wurden die Gesichter ausgekratzt, so hoch die Eiferer mit ihren Armen reichten. Später wurde es ruhig, alles geriet ein wenig in Vergessenheit und dürres Gras wuchs, nur gelegentlich von Schafen und Ziegen abgefressen. 



Heute ist hier ein Weltkulturerbe, alles darf beguckt werden, man kann fast mit der Nase an den Wänden riechen. Es sind keine Glasscheiben davor, trotzdem darf nicht fotografiert werden, damit die restlichen Farben, die noch da sind, nicht weiter verblassen. Dafür gibt es aber Bücher zu kaufen, in denen die Bilder alle drin sind. Weil niemand mehr weiß, ob die Kirchen ursprünglich überhaupt einen Namen hatten, oder ob sie nach denen benannt wurden, die hier wohnten, kochten, arbeiteten, stritten, sich liebten, was auch immer, wurden sie jetzt nach ihren Eigenheiten benannt. So, wie manche Höhlen oder Berge: Es gibt die Apfelkirche, die Spangenkirche, die Sandalen-Kirche, die Schlangenkirche und, unter anderem, die Schwarze Kirche, für die noch extra Eintritt nötig war. Dafür waren hier die Bilder am schönsten, am farbigsten erhalten, weil nur durch ein winzig kleines Fenster in der Felswand Licht hinein kam. Selbst die Tür war so gebaut, dass es erst in einen Vorraum ging und dann noch einmal um die Ecke, so dass wirklich wenig Luft und Licht in den Raum kam. Ein bisschen wirken die Räume im Stein wie die Grabkammern der Ägypter, die ja innen auch bunt bemalt sind. Wer weiß, vielleicht kannte ja jemand den Baustil, und fand ihn toll. So wie man heute an manchen Einfamilienhäusern sämtliche Scheußlichkeiten bewundern kann, welche die Besitzer unterwegs an anderen Häusern sahen. 


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