Montag, 11. Juni 2007

Die Idee



Zuerst war es nur eine kleine Idee, die vorwitzig aufblitzte, als ich das erste Mal über den Weg las, den Elisabeth einst von Eisenach nach Marburg ging.
Die Idee steckte ihre Nase an die Luft, wuchs, und ließ mich zunächst im vertrauten Kreis von sich erzählen. Es gab keine Kritik, im Gegenteil.


Würde jemand mit mir kommen? Dann müsste ich nicht mutterseelenallein auf dem Weg sein. Doch niemand hatte Zeit, mich auf dem Pfad zu begleiten. Die Idee blieb hartnäckig und setzte mir den Floh ins Ohr, allein zu gehen. Elisabeth war doch auch allein unterwegs, oder?


Im Mai 1228 wurden die sterblichen Überreste von Ludwig, Elisabeths Ehemann, im Kloster Reinhardsbrunn bestattet. Wenige Wochen später brach die 21jährige auf und ging von Eisenach nach Marburg. Aber was hat sie derweil mit ihrem dritten Kind, Gertrud gemacht? Die muss ja ungefähr ein Jahr alt gewesen sein. Nahm sie es mit auf den Weg nach Marburg? Trug sie es den ganzen Weg oder musste es auf den kleinen Beinchen selber laufen?


Meine Lieben sorgten unauffällig vor und für sich: immerhin kommt unser Jaellekind mittags aus der Schule und kann noch nicht den ganzen Nachmittag allein verbringen. Doch die Woche mit dem ersten Mai als Feiertag scheint ideal. Fragen, ob ich an diesem Wochenende, an dem ich losgehen will, arbeiten kann, beantworte ich lange ausweichend.


Erst am Abend vor der Abreise verriet ich in der Redaktion: ich bin dann mal weg …
An diesem Freitag hab ich auch Brot, Käse und Äpfel gekauft. Samstagmorgen noch schnell die Wurst geholt, die letzten Texte geschrieben, den Rucksack gepackt und losgefahren. Ich war schon seit Freitag nicht mehr ganz da…


Wie werde ich den Weg finden? Werde ich Übernachtungen finden? Wie werden mir die Menschen unterwegs begegnen? Nein, ich wollte keinen Pilgerpfadführer. Ich glaube nicht, dass Elisabeth einen hatte, als sie nach Marburg aufbrach.


Wie haben die Menschen in dieser Zeit gewusst, was es noch auf der Welt gibt und wo sie es finden?


Fuhrleute, Schankwirte – wer konnte Elisabeth und anderen Reisenden Auskunft geben? Woher wusste sie, wo Marburg lag, welchen Weg sie gehen musste? Noch dazu mit ihrem Kind Gertrud.

Jaelle Katz

Donnerstag, 7. Juni 2007

Einige Kommentare


die Kirche von Spieskappel: der Pfarrer empfahl die Besichtigung, doch als ich kam, wurde sie just vor meiner Nase zugesperrt. Immerhin gehörte sie mal zu einem Kloster, welches zwar nach der Reformation aufgelöst wurde, aber die Evangelischen sind immer noch ganz stolz darauf, dass Luther hier mal übernachtete...

„Was? Ganz alleine? Als Frau? Haben Sie denn keine Angst?

Nein, habe ich nicht. In unseren Wäldern gibt es – den Jägern sei Dank – keine Wölfe und Bären. Eher müsste ich mich da schon vor den lieben Mitmenschen fürchten. Doch mir schien das Fahrtenmesser als Bewaffnung völlig ausreichend. Damit konnte ich immerhin auch noch Wurst, Käse und Brot schneiden. Aber als Waffe war es nicht nötig. Ich gehöre auch nicht zu den Frauen, für die ein Blick bereits ausgeübte Gewalt ist.

„Meechen, so kommst du aber nicht mehr weit!“,

sagte ein alter Landwirt, als er mich und meine steifen Knie sah, als ich nach meiner Siesta aufstand. Der rollende Supermarkt hielt praktischerweise direkt vor mir auf dem Platz vor der Kirche.

„Die habe ich bestimmt schon ein Jahr nicht mehr im Sortiment“,

sagte der nette rollende Supermarktverkäufer auf meine Frage, wo er denn die Müsliriegel versteckt hätte. „Meine Kundschaft ist zu alt, die kaufen nichts, was im Gebiss kleben bleibt.

„Wie? Und ihr Mann erlaubt Ihnen das?“

Häh? In welchem Jahrhundert lebt denn der Frager?

„Und? Haben Sie sich schon gefunden?“

Ups. Ich war gar nicht auf der Suche nach mir. Jedenfalls bin ich meist ganz gut beieinander – da brauche ich noch nicht nach meinen Einzelteilen zu suchen.

„Da müssen wir Männer uns auch endlich mal emanzipieren, wenn die Frauen schon alles alleine machen…“,

sagte der Landmaschinenvertreter zum oben erwähnten Landwirt. Klug erkannt. Fang mal an.

„Der Weg ist noch nicht eröffnet!“,

sagte der Spieskappeler Pfarrer und musterte mich von oben bis unten.

Ach ja? Und worauf bin ich bis jetzt gelaufen?

„Haben Sie einen Pilgerausweis?“

der gleiche Pfarrer. Nein, habe ich nicht. Brauche ich nicht. Allerdings konnte ich ihm noch nicht einmal mit meinem Personalausweis dienen. Den hatte ich vergessen. Er kopierte dann meine Bankkarte. Aber wozu?

Jaelle Katz

Montag, 4. Juni 2007

Nachdenken über das Reisen


Winterlinden wurden schon lange Zeit als Wegmarken an Handelswegen verwendet - heute sind sie nicht mehr so nötig: es gibt ja Straßenschilder.
Diese stehen auf dem Elisabethpfad vor Stadtallendorf

Wozu verreist der Mensch überhaupt? Wie es in dem Ort aussieht, an den er fährt, weiß er längst aus den Prospekten. Sollte es von dem gewünschten Ziel keinen Prospekt geben, dann ist das kein Reiseziel. Hauptsache, er konnte sich vor seiner geplanten Reise ein Bild machen. Der Wunsch, zu verreisen, entsteht erst durch eine Vorstellung von dem Reiseziel. Die Vorstellung kann auf verschiedene Weise entstehen. Entweder erzählt jemand davon, oder es gibt Bilder in Fernsehen, Büchern oder Zeitschriften. Andererseits gibt es in vielen Orten die Überlegung: „wie mache ich diesen Ort für Touristen attraktiv?“



Durch die Verkehrsmittel ist es heutzutage unkompliziert und ungefährlich, in ferne Länderzu reisen, die vor hundert Jahren kaum erreichbar waren. Konkurrenz zwischen Reiseunternehmen fördert den Massenverkauf von Reisen zu relativ niedrigen Preisen.
Doch möglicherweise kommt der Reisende zwar körperlich in dem betreffenden Land an, aber psychisch nicht. Der Pauschaltourist erwartet, an seinem Urlaubsort einen gewohnten Standard, eine erwartete Umgebung vorzufinden.



Das moderne Reisen, das um seiner selbst willen und zum Vergnügen unternommen wird, gibt es noch nicht lange. Früher verreiste man oft nur aus Not oder religiöser bzw. wirtschaftlicher Ziele wegen. Erst im 17. und 18. Jahrhundert begann das Vergnügen der Reisen. Jeder, der genug Geld hatte und gebildet war, machte sich in den Süden auf. Italien mit seinen antiken Stätten gesehen zu haben, war das Reifezeugnis für junge Männer (und wenige Frauen). Die dabei erworbenen Kenntnisse konnten an keiner Universität vermittelt werden. Die praktischen Schwierigkeiten dieser Reisen waren noch erheblich, besonders weil die Alpen überquert werden mussten.



Der Massentourismus breitete sich zuerst in Richtung der Gastarbeiterländer aus. Dort ist es meistens wärmer und sonniger als in Deutschland. Später entdeckte die Tourismusindustrie, dass es außer den „normalen Pauschaltouristen“ auch „Abenteurer- und Entdeckertypen“ gibt und begann, Reisen unter anderen Vorzeichen zu verkaufen.
die Wirklichkeit wird auch dort simuliert: die Erwartungen der Touristen müssen ja erfüllt werden. Manchmal gibt es trotz aller Vorsichtsmaßnahmen im Urlaub Konfrontationen mit der Realität: dann laufen die Kakerlaken durchs Zimmer. Aber für diese Störungen kann glücklicherweise der Reiseveranstalter verantwortlich gemacht werden.



Reisen wird risikoreicher. Entführungen, Bombenanschläge, Bürgerkriege, die sich nicht nur gegen Einheimische, sondern auch gegen Touristen richten. Doch es hat den Anschein, als würde dieser Einbruch der Realität in das Bild vom Urlaubsland nur kurz anhalten. Zwar führen Bombenanschläge kurzfristig zu Reisestornierungen, doch nach spätestens ein paar Monaten ist der Schrecken vergessen. Dann buchen die Urlauber wieder, zumal die betroffenen Länder nach den imageschädigenden Ereignissen mit den Preisen heruntergehen.



Bilder - gerade von Reiseprospekten- sind Hochglanzfarbphotos. Und da ein Apparat diese Photos „gemacht“ hat, muß es dort so aussehen, denn die Kamera kann nur die Wirklichkeit abbilden und nichts anderes.
Und wieso haben Bilder diese Macht? Aber das ist eine andere Frage …

Jaelle Katz

Sonntag, 3. Juni 2007

Der Geruch


Der Duft einer Kläranlage, im Hintergrund ist noch die Wartburg bei Eisenach zu sehen


Wer sich selbst nicht riechen kann, sollte diesen Pilgerpfad nicht gehen.

Denn nicht überall gibt es eine Pension oder Hotel zum Übernachten. Manchmal ist die fußlahme Pilgerin - in diesem Fall ich - am Abend einfach nur froh, wenn sie ein Eckchen angeboten bekam, in dem sie ihre Matte und den Schlafsack ausrollen konnte. Wie zum Beispiel auf einem Spielteppich im kirchlichen Gemeindehaus oder in einem Jugendraum im Pfarrhauskeller.

Waschen geht da auch: mit Waschläppchen und Seife am kalten Wasserhahn im Vorraum der Damentoilette. Wie gut, dass ich an beides nicht nur gedacht, sondern auch eingepackt hatte ...

Aber selbst wenn ich abends eine luxuriöse warme Dusche genießen konnte, am nächsten Morgen war alles perdu. Spätestens nach einer halben Stunde konnte ich - ich schrieb es schon - den Fleecepullover ausziehen und mir war nicht nur warm, sondern ich schwitzte.

Allerdings wurde meine Nase empfindlicher. Nicht für den körpereigenen Geruch, an den hatte ich mich schnell gewöhnt. Aber für den Duft der Blumen, des Rapses, des Waldbodens und der anderen Menschen. Am dritten Tag der Pilgertour kam mir eine Gruppe junger Menschen entgegen und passierten mich grüßend. Die Mischung der verschiedenen Parfüms und Haarsprays hatte ich noch lange in der Nase.

Ein blühendes Rapsfeld, kurz vor Creuzburg

Bei einer solch duften Ankündigung kann das Wild im Wald rechtzeitig Reißaus nehmen. Zumal die Jungs und Mädels sich auch die Ohren mit Musik verstopft hatten und das Ganze überbrüllend miteinander schwätzten.

Ich saß am zweiten Tag kurz vor der ehemaligen innerdeutschen Grenze auf einer Bank und vesperte, als gemütlich ein Hase auf dem Weg an mir vorbeilief. Der hat mich wohl weder gerochen, noch gehört oder gesehen:



Jaelle Katz

Freitag, 1. Juni 2007

Der Weg

war gekennzeichnet mit einem roten Aufkleber, darauf ein „E“ und das stilisierte Antlitz Elisabeths. Auf ihrer Homepage: http://www.elisabethpfad.de/ schrieben die Initiatoren, es seien 184 Kilometer von Eisenach bis Marburg. Mit den Umwegen, die ich gelaufen bin, weil ich oft genug den Aufkleber nicht fand, waren es bestimmt noch ein paar Kilometer mehr.



Die meiste Zeit führte der Weg auf alten Pfaden von Dorf zu Dorf. Katzenbuckeliges Steinpflaster ließ ahnen, dass hier einst Karren rumpelten und Handelsleute ihrer Wege zogen. Die alten Handelswege lagen aber keinesfalls bequem im Tal, sondern sie führten immer wieder auf die Höhen und Bergkämme hinauf und in die Ortschaften hinunter. Gab es doch früher in den Tälern keine ausgebauten Autostraßen, sondern feuchte Auen und Feinde ließen sich von weit oben auch besser erkennen.


Streckenweise waren neue Pfade angelegt: so von Spichra bis nach Creuzburg. Der frisch geteerte Weg führte in der prallen Sonne entlang, nirgendwo gab es Bäume oder Schatten. Es war so heiß, dass die Schuhe manchmal am Asphalt kleben bleiben wollten und sich mit einem schmatzenden Geräusch lösten.

Andere Wegstrecken waren traumhaft: Alleen uralter Bäume, oder blühende Hecken, die sich über den Pilgerweg neigten und ihre Blütenblätter wie bei der Fronleichnamsprozession streuten.


Ab und an war der Weg schwer zu erkennen. Oder vielmehr, der Weg als solcher war ja da - aber welcher war der Richtige? Manchmal habe ich einfach keinen Aufkleber gefunden, der mir zeigte: wo geht es weiter? An einigen Stellen war der Aufkleber erst etwa zweihundert Meter nach der Abzweigung angebracht. Das hieß dann: jeden Weg erst einmal ein Stück gehen, bis ich das Zeichen an einem von ihnen wieder fand. Dafür stand, als ich aufmerksam die Bäume absuchte, ein passendes Schild kurz vor Ziegenhain im Wald:






Ich verlor den Weg immer wieder. Einmal folgte ich einfach der Wegbiegung, weil der breite Hauptweg dort lang lief. Wäre ich dagegen dem unscheinbaren Pfad geradeaus gefolgt, hätte ich mir einen meiner Umwege erspart. So ist das eben, wenn man mit den Schafen trottet. Doch glücklicherweise traf ich an meinen Irrwegen immer Menschen, die mir weiter halfen und mich wieder zurück auf den richtigen Weg wiesen.

Denn ich hatte zwar keine Wanderkarte im Gepäck, wusste aber immer, welches Dorf als Nächstes auf meinem Pfad lag. Die kleine Übersichtskarte von der Homepage hatte ich mir glücklicherweise ausgedruckt, zusammengefaltet und in die Tasche gesteckt. Ein Din A 4 großes Blatt: ausreichend für den Weg.

Jaelle Katz